Sind Dienstleistungen automatisierbar? Der Autor bejaht dies. Die Schlüsseltechnologien dafür heißen „Robotic Process Automation“ und „Process Mining“.
Bislang war Automatisierung vor allem in der Industrie ein großes Thema. Es braucht nicht allzu viel Kreativität, um sich vorzustellen, dass repetitive, einfache (und manchmal stupide) Tätigkeiten besser von einer Maschine als von einem Menschen erledigt werden können. Neues Teil heranziehen, Schraube ansetzen, Schraube festdrehen, Teil weiterschieben – und mit dem nächsten Teil von vorne beginnen. Dieser typische Arbeitsprozess – wunderbar illustriert in Charlie Chaplins klassischem Film „Modern Times“ – ist einfach zu erlernen, er ist wiederholbar und benötigt keinen Einsatz unserer grauen Zellen. Fließbandarbeit lässt sich deshalb wunderbar automatisieren.
Ein anderes Thema ist es, wenn man Dienstleistungen automatisieren will. Die Beratung durch einen Anwalt, die Untersuchung des Patienten durch eine Ärztin und sogar die Reparatur einer Rohrleitung durch einen Klempner sind komplexe Tätigkeiten, die sehr viel Fachwissen und Können erfordern. Eine Automatisierung von Dienstleistungen bzw. „Services“ ist oft nur schwer vorstellbar.
Beispiel ärztliche Konsultation

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein fürchterliches Rückenleiden und müssen zum Arzt. Nach welchem Prozess hat die Konsultation Ihres Arztes zu erfolgen? Mit Sicherheit müssen Sie verschiedene Details ihres Leidens schildern. Der Arzt muss zunächst analysieren, um was für ein Problem es sich handelt und eine Diagnose stellen. Dann geht es darum, eine Behandlung zu finden. Diese wird für jeden Patienten und jede Patientin etwas anders aussehen. Manchmal reicht es, wenn der Arzt ein paar Schmerzmittel verschreibt. Manchmal muss auch eine komplexe Behandlung, inklusive Operation, Medikamenteneinsatz und Physiotherapie erfolgen.
Könnte ein Computer den Arzt ersetzen? Wahrscheinlich nicht. Denn die Dienstleistung, die der Arzt anbietet, ist von Fall zu Fall völlig unterschiedlich. Es gibt keine repetitiven Arbeitsschritte, die sich immer wieder wiederholen lassen. Die Konsultation ist individuell.
Dienstleistungen unterscheiden sich von materiellen Produkten
Auch bei anderen Dienstleistungen besteht dieses Problem: denken Sie mal an Ihren Anwalt, an den Klempner oder die Gärtnerin. Die Aufgaben sind komplex und vielschichtig, weil es sich um Dienstleistungen handelt.
Dienstleistungen bzw. Services haben folgende Eigenschaften (Fitzsimmons, J. A. et al., 2014):
- Der Kunde partizipiert an der Dienstleistung und ist für das Ergebnis mitverantwortlich. Die Behandlung beim Arzt ist z. B. davon abhängig, wie gut Sie die ärztlichen Anweisungen befolgen.
- Die Produktion einer Dienstleistung erfolgt simultan zu ihrem Verbrauch. Die Diagnose des Arztes wird von Ihnen in dem Moment „konsumiert“, wo er sie Ihnen stellt.
- Services können nicht inventarisiert werden wie Produkte. Die Konsultation des Arztes und der Mehrwert, den er dadurch geschaffen hat, ist sofort verbraucht und kann auch nicht von jemand anderem genutzt werden. Denn die nächste Patientin hat womöglich ein völlig anderes Problem als Sie.
- Dienstleistungen sind immaterielle Produkte. Das macht es schwierig, deren Wert von vornherein zu erfassen. Als Patient*in wissen Sie oft nicht, wie gut die ärztliche Behandlung ist, bevor Sie sie nicht zur Behandlung gegangen sind.
- Die Qualität einer Dienstleistung wird individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen. Vielleicht empfinden Sie den Ratschlag des Arztes als unzutreffend, während eine andere Patientin in Ihrer Lage genau den selben Ratschlag als sehr wertvoll empfindet. Auch mögen manche Patient*innen humorvolle Ärzte, andere nicht. Die Wahrnehmung der Dienstleistung erfolgt individuell.
- Der Wert einer Dienstleistung ist nicht transferierbar. Die Diagnose des Arztes ist nur an Sie gerichtet und deshalb auch nur für Sie von Wert. Sie können Sie nicht weiterverkaufen wie ein physisches Produkt, denn die Diagnose trifft ja nur auf Sie zu und nicht auf eine andere Patientin oder einen anderen Patienten.
Die Individualität von Dienstleistungen erschwert die Automatisierung enorm. Aus diesem Grund sind Dienstleistungen bislang nicht in gleichem Ausmaß automatisiert worden wie bspw. die Produktion von materiellen Gütern.
Standardisierung als Voraussetzung für Automatisierung
Wirtschaftshistorisch betrachtet sind es vor allem die Industriebetriebe, in denen Automatisierungstechnologie angewandt wurde. Ein Beispiel dafür ist die Einführung der Fließbandarbeit in der Automobilbranche 1914 durch Henry Ford. Ford erkannte, dass materielle Produkte wie Autos nicht individualisiert sein müssen, um für Kunden einen Wert zu haben. Deshalb standardisierte er das Automobil mit seinem Ford „Modell T“. Diese Standardisierung ermöglichte die Serienproduktion und (spätere) Automatisierung. Henry Ford soll gesagt haben, der Kunde könne sein Automobil in jeder Farbe haben, so lange es schwarz sei. Die schwarze Farbe war eine technische Notwendigkeit für die Fließbandproduktion.
Robotic Process Automation und Artificial Intelligence
In Dienstleistungsbetrieben fristete die Automatisierung hingegen lange Zeit ein Schattendasein. Dies ändert sich mit den Schlüsseltechnologien „Robotic Process Automation“ und „Process Mining“. „Robotic Process Automation“ (RPA) funktioniert mit Computerprogrammen, den sog. „Robots“ oder „Bots“. Diese imitieren die Interaktionen von Benutzer*innen mit Softwaresystemen (Syed et al., 2020). Die Robots können damit alle Tätigkeiten von Mitarbeitenden übernehmen, die am PC ausgeführt werden müssen.
Moderne RPA-Software ist zudem fähig, während der Ausführung von Aktivitäten dazuzulernen. Möglich macht dies die sog. „künstliche Intelligenz“ oder „Artificial Intelligence“ (AI). In Kombination mit AI wird Robotic Process Automation zu einer „intelligenten“ Automatisierung (Jha et al., 2021). Die Robots können in jedem Prozessschritt dazulernen. Aufgrund ihrer Lernergebnisse treffen die Robots in jedem Prozessschritt selbständig Entscheidungen.
Ein Beispiel für diese Art von Technologie stellt die „Watson“-Technologie von IBM dar. Watson wird bereits in zahlreichen medizinischen Bereichen eingesetzt. Der Begleit-Roboter „PaPeRo“ nutzt bspw. Watson und eine RPA-App. Mit dieser kann PaPeRo bei älteren Menschen frühe Anzeichen von Demenz erkennen (Kobayashi et al., 2019). Er kann somit ärztliche Diagnosen treffen.
Die Kombination von RPA mit AI reicht jedoch nicht immer aus, um Dienstleistungen zu automatisieren. RPA-Software ist nämlich trotz AI nur dazu befähigt, einem vorgegebenen Programm zu folgen. Doch Dienstleistungen bestehen gerade nicht aus einem starren Prozessablauf. Sie erfordern bei jeder Durchführung ein individuell angepasstes Vorgehen. RPA muss also durch eine Technologie ergänzt werden, mit der man den Ablauf von Aufgaben flexibel anpassen kann.
Schlüsseltechnologie Process Mining
Eine solche Technologie stellt „Process Mining“ dar. „Process Mining“ ist eine Technik, um Arbeitsabläufe zu entdecken, zu überwachen und zu verbessern. Dies geschieht durch Aufzeichnung von Benutzeraktivitäten auf Computersystemen mit sog. „Event Logs“ (Aalst et al., 2011). Die Logs werden analysiert, um darin wiederkehrende Muster aufzudecken.
So können z. B. Emails von Mitarbeitenden in einem Dienstleistungsbetrieb analysiert werden. Mittels automatisierter Sprachanalyse können dann Rollen und Verantwortlichkeiten in der Organisation aufgedeckt werden. Ebenfalls ist es möglich, Aktivitäten und Prozessabläufe zu ermitteln. Process Mining-Algorithmen können bspw. Entscheidungen bei einem Kreditvergabeprozess aufdecken. Dazu muss lediglich erfasst werden, wer bei der Vergabe informiert wird und wer ein Veto einlegen kann.
Neuentdeckung von Dienstleistungsprozessen
Mit der Zeit lernen die Algorithmen Prozesse kennen, die sogar den beteiligten Personen unbekannt sind. Process Mining-Software macht Dienstleistungsprozesse und deren Abweichungen sichtbar. Die Individualität von Dienstleistungen wird damit beherrschbar.
Kombiniert man Process Mining mit RPA, kann man sogar Dienstleistungen automatisieren (Geyer-Klingeberg et al., 2018). Man muss nur den inhärenten Prozess einer Dienstleistung erfassen, um ihn dann mit RPA effizient automatisieren zu können. Wie das konkret aussehen kann, erfahren Sie in einem weiteren Blog Post.
Weiteres zum Thema:
- Aalst, W. V. D., Adriansyah, A., Medeiros, A. K. A. D., Arcieri, F., Baier, T., Blickle, T., … & Wynn, M. (2011, August). Process mining manifesto. In International conference on business process management (pp. 169-194). Springer, Berlin, Heidelberg.Fitzsimmons, J. A., Fitzsimmons, M. J. & Bordoloi, S. (2014). Service Management: Operations, Strategy, Information Technology. ed. New York: McGraw-Hill Education.
- Geyer-Klingeberg, J., Nakladal, J., Baldauf, F., & Veit, F. (2018, July). Process Mining and Robotic Process Automation: A Perfect Match. In BPM (Dissertation/Demos/Industry) (pp. 124-131).
- Jha, N., Prashar, D., & Nagpal, A. (2021). Combining artificial intelligence with robotic process automation—an intelligent automation approach. In Deep Learning and Big Data for Intelligent Transportation (pp. 245-264). Springer, Cham.
- Kobayashi, T., Arai, K., Imai, T., Tanimoto, S., Sato, H., & Kanai, A. (2019, July). Communication robot for elderly based on robotic process automation. In 2019 IEEE 43rd Annual Computer Software and Applications Conference (COMPSAC) (Vol. 2, pp. 251-256). IEEE.
- Langmann, C., & Turi, D. (2020). Robotic Process Automation (RPA)-Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen. Voraussetzungen, Funktionsweise und Implementierung am Beispiel des Controllings und Rechnungswesens, Wiesbaden.
- Syed, R., Suriadi, S., Adams, M., Bandara, W., Leemans, S. J., Ouyang, C., … & Reijers, H. A. (2020). Robotic process automation: contemporary themes and challenges. Computers in Industry, 115, 103162.