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Hochbegabung: mangelnde soziale Akzeptanz und enorme Anpassungsleistung

Hochbegabung

Hochbegabung bedeutet oft mangelnde soziale Akzeptanz. Hochbegabte vollbringen in Schule und Beruf eine enorme Anpassungsleistung. Trotzdem haben sie es oft nicht leicht. Manche Hochbegabte hinterfragen bei der Arbeit Entscheidungen der Geschäftsleitung und bringen ungefragte Verbesserungsvorschläge ein. Damit ecken sie bei Vorgesetzten und Arbeitskolleg*innen an. Deshalb werden hochbegabte Mitarbeiter*innen bei Beförderungsrunden gerne übersehen. Die Probleme der Hochbegabten beginnen allerdings oft schon in der Schule. Die Integration in Jahrgangsklassen stellt eine große Herausforderung dar. Ein Interview mit Eva Kippenberg, Coach und Beraterin für Hochbegabte aller Altersklassen und Koordinatorin der Arbeitsgruppe Bildung bei MENSA in Deutschland e. V. über die Faktoren, die Hochbegabte an einer erfolgreichen Schul- und Berufslaufbahn hindern können.

Eva Kippenberg arbeitet als freiberuflicher Coach und Facilitator. Sie begleitet Hochbegabte und Familien mit begabten und hochbegabten Kindern und hilft Chefs und Lehrkräften, dieses Potenzial in die Organisation einzubinden. Sie ist selbst hochbegabt und Mitglied des Vereins MENSA – einem internationalen Zusammenschluss von Menschen, die einen Intelligenzquotienten von über 130 aufweisen.

Bei Hochbegabten kann es durchaus auch vorkommen, dass sie das Abitur gar nicht schaffen

Eva Kippenberg ist Coach für Familien von hochbegabten Kindern.
Eva Kippenberg ist Coach und Facilitator für Hochbegabte.

Frau Kippenberg, in Ihrem Beruf befassen Sie sich mit intelligenten Menschen, bzw. Menschen, die einen IQ von über 130 aufweisen. Sind Menschen mit einem besonders hohen IQ beruflich erfolgreicher als andere Menschen?

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass der IQ ein sehr guter Prädiktor für den beruflichen Erfolg ist. Die Korrelation zwischen dem IQ und dem Berufserfolg nimmt allerdings bei Menschen mit einem besonders hohen IQ wieder etwas ab. Menschen, die ein Abitur mit einer „1“ vor dem Komma machen sind häufig überdurchschnittlich intelligent, aber nicht unbedingt hochbegabt.  Karriere machen diejenigen, die intelligent sind und sich der Gesellschaft und den Anforderungen gut anpassen können. Das ist auch bei den Hochbegabten so. Bei Hochbegabten kann es aber durchaus auch vorkommen, dass sie in der Schule sehr schlechte Noten schreiben oder dass sie das Abitur gar nicht schaffen.

Warum sollten denn ausgerechnet Hochbegabte das Abitur nicht schaffen?

Naja, das liegt häufig auch am Selbstbild der Betroffenen. Da spielen sehr viele Faktoren eine Rolle. Es beginnt meistens schon im Kindergarten. Hochbegabte Kinder werden von Gleichaltrigen zum Teil nicht verstanden und manche beginnen dann, an sich selbst zu zweifeln. Diese Kinder reden sich dann ein, dass mit ihnen etwas nicht stimmt oder dass sie nichts können. Sie fahren dann ihre Leistungen zurück, weil sie sich nichts mehr zutrauen. Die mangelnde Akzeptanz bei der Peer Group setzt sich dann in der Schule fort und wirkt sich dann auf die gesamte Biografie eines hochbegabten Menschen aus. Die schulische Laufbahn und auch der Umgang mit Lehrern und Eltern führen dazu, dass Hochbegabte dann auch im Erwachsenenalter keine beruflichen Erfolge erzielen. Der genaue Werdegang ist aber natürlich bei jedem etwas anders.

Mangelnde Akzeptanz bei Peer Group wirkt sich auf die gesamte Biografie aus

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, spielen Bildung und Erziehung eine bedeutende Rolle für den Werdegang eines Menschen. Wie sähe Ihrer Meinung nach ein „ideales“ Bildungswesen für Hochbegabte aus?

Ein großes Problem liegt darin, wenn Hochbegabte bei Gleichaltrigen keinen Anschluss finden. Ich empfehle daher, die Jahrgangsklassen abzuschaffen. Dies wird zum Teil bei den Montessori-Schulen schon so gemacht. Jedes Kind ist dann für das eigene Lernen selbst verantwortlich. Die Kinder können dann ihr eigenes Lerntempo bestimmen. Für den Unterricht wäre dann nicht mehr ein bestimmtes Alter entscheidend. Stattdessen sollte Wissen als Vorgabe für das erfolgreiche Bestehen der Schulzeit gelten. Es sollte ein Lehrangebot mit verschiedenen Kursen geben, zu denen man nach bestandener Prüfung einen Schein erwerben kann. Entscheidend ist doch, dass die Kinder bestimmte Fertigkeiten wie Mathematik, Deutsch oder Naturwissenschaften erlernen. Deshalb sollten sie entsprechende Kurse besuchen können egal ob sie jetzt in der 7. oder 10. Klasse sind.

Hochbegabte Kinder könnten dann die Schulzeit etwas schneller durchlaufen als andere Kinder. Sie wären dann nicht mehr an einen strikten Zeitplan gebunden. Der Lehrer wäre dann eher ein Lernbegleiter oder Lerncoach, der die Kinder berät, welche Kurse sie als nächstes besuchen sollten. Er könnte dann den Schulstoff in einem wöchentlichen Unterrichtsgespräch mit den Kindern koordinieren. Hochbegabte Kinder könnten dann Schulstoff, der sie besonders interessiert zeitlich vorwegnehmen, während andere Kinder vielleicht weniger Kurse parallel absolvieren und einfach ein Jahr länger in die Schule gehen – ohne deshalb auch Stoff wiederholen zu müssen, mit dem sie kein Problem haben.

Eltern sollten unbedingt das Gespräch mit den Lehrern suchen

Welche Bildungsangebote können hochbegabte Kinder eigentlich heute wahrnehmen?

Der Austausch auf einer persönlichen Ebene ist für viele hochbegabte Kinder oft wichtiger als immer noch mehr Bildungsangebote. Hochbegabte Kinder wollen ernst genommen werden. Sie wollen etwas verstehen und auch verstanden werden. Deshalb ist der Austausch und das Knüpfen von Netzwerken mit anderen hochbegabten Kindern wichtig. Mensa und die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) bieten entsprechende Feriencamps und andere Angebote für hochbegabte Kinder. Dort lernen hochbegabte Kinder Gleichaltrige mit ähnlichen Interessen kennen.

Was würden Sie den Eltern hochbegabter Kinder raten?

Sie sollten unbedingt das Gespräch mit den Lehrern suchen. Eltern sollten sich bei Lehrergesprächen aktiv einbringen und bei Problemen frühzeitig Berater hinzuziehen, die sich auf das Thema Hochbegabung spezialisiert haben. Viele Lehrer sind beim Umgang mit Hochbegabten schlichtweg überfordert. Das ist auch kein Wunder, denn sie müssen sich oft um 30 Kinder kümmern. Bei vielen Lehrkräften fehlt auch die entsprechende Ausbildung. Deshalb ist es auch wichtig, Berater hinzuzuziehen, falls die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften nicht funktionieren sollte. Wichtig ist, dass der Berater als neutrale Person auftritt und von den Lehrern auch als solche wahrgenommen wird. Es ist wichtig, dass alle am selben Strang ziehen und die Förderung des Kindes im Vordergrund steht.

Hochbegabte benötigen wirklich einen völlig anderen Unterricht als Normalbegabte

Was halten Sie von Spezialschulen, in denen talentierte Kinder und Jugendliche gefördert werden?

Diese Spezialschulen erfüllen ihren Zweck. Allerdings ist nicht jede Schule, die sich als „Hochbegabtenschule“ präsentiert, wirklich eine Schule, die Hochbegabte auch fördert. Viele dieser Einrichtungen dienen eigentlich der „Hochleistungsförderung“. Dabei steht dann nicht die Begabungsförderung des Kindes im Vordergrund, sondern die Schulnoten. Eltern sollten darauf achten, dass sie diese Hochleistungsförderungsschulen nicht mit Hochbegabtenschulen verwechseln. Hochbegabte benötigen nicht strengere Anforderungen an die Schulnoten. Hochbegabte benötigen wirklich einen völlig anderen Unterricht als Normalbegabte. Sie müssen z. B. auch lernen, wie sie Wissen kommunizieren und so strukturieren können, dass sie von anderen auch verstanden werden. Der Unterricht an einer solchen Schule sollte sich deshalb sowohl inhaltlich als auch vom Betreuungsangebot her von dem Unterricht an einer Regelschule unterscheiden.

Schulen, die begabte Kinder besonders fördern, sind häufig privat finanziert und deshalb auch sehr teuer. Inwiefern entscheidet auch die finanzielle Lage der Eltern bzw. die soziale Herkunft über die Begabtenförderung?

Leider entscheidet die finanzielle Situation der Eltern über sehr vieles in der Begabtenförderung. Zahlreiche Studien belegen, dass in Deutschland eine hohe Korrelation zwischen dem Schulabschluss der Kinder und deren sozialer Herkunft besteht.

Wichtig für das eigene Selbstbild ist, dass man sich mit anderen Hochbegabten austauscht

Hochbegabung wird oftmals lange Zeit nicht erkannt. Was können Menschen tun, die kürzlich von ihrer Hochbegabung erfahren haben? Wie sollen Betroffene auf so eine Nachricht reagieren?

Die Reaktion der Betroffenen kann ganz unterschiedlich ausfallen. Manche fallen tatsächlich in eine Art „schwarzes Loch“. Sie fragen sich, was hätte sein können, wenn sie ihre Hochbegabung früher entdeckt hätten. Andere Hochbegabte stecken die Nachricht locker weg. Es hängt dabei vieles vom Selbstbild der Betroffenen ab. Wichtig für das eigene Selbstbild ist, dass man sich mit anderen Hochbegabten austauscht. Im Austausch mit anderen Hochbegabten merken die Betroffenen oft, dass ihre Sorgen unbegründet sind.

Also ist die Kommunikation entscheidend?

Die Kommunikation ist das A und O. Es ist wichtig, dass ich weiß, wie mein Gegenüber denkt und wie ich mich mit meinem Umfeld verständige. Es stärkt mein Selbstbild, wenn ich merke, dass ich verstanden werde.

Bieten Sie denn bestimmte Förderangebote für Hochbegabte in diesem Bereich an?

Ja, es gibt Kommunikationstrainings für Hochbegabte. Sie lernen dabei in kleinen Schritten auf andere Menschen zuzugehen und deren Standpunkt zu verstehen. Je nachdem können Hochbegabte auch ein schwaches Selbstbild haben. Dann muss man zunächst die persönlichen Glaubenssätze auflösen, die den geringen Selbstwert verursachen. Das können Glaubenssätze sein, wie „ich mache immer alles falsch“. Solche Glaubenssätze kommen meistens aus dem Kindesalter, wenn sie bspw. feststellen, dass sie von Altersgenossen nicht verstanden werden und etwas „anders“ sind. Sie vermuten dann, dass etwas an ihnen nicht stimmt und das beeinflusst dann auch ihr Selbstverständnis.

Hochbegabung tritt gar nicht mal so selten auf

Was kann denn dagegen unternommen werden, dass Hochbegabte von der Gesellschaft als seltsam wahrgenommen werden?

Wichtig ist das Verständnis, dass wir nicht alleine sind. In einem Jahrgang mit 100 Kindern befinden sich im Durchschnitt mindestens 10 Kinder, die überdurchschnittlich begabt sind. 2 Kinder davon sind hochbegabt. Hochbegabung tritt also gar nicht mal so selten auf. Die Lehrer müssten für das Thema sensibilisiert werden. Trotzdem werden leider immer noch zu wenig Schulungen für Lehrpersonen durchgeführt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich niemand für die Bedürfnisse von hochbegabten Schülern interessiert, solange keine sichtbaren Probleme in der Schule auftreten. Wenn hochbegabte Kinder ihre Bedürfnisse nicht äußern, dann wird von der Schule aus auch nichts weiter unternommen. Lehrer und Eltern müssen aber genauer hinschauen.

Sie sprechen da die Kommunikation an. Wenn Hochbegabte ihre Bedürfnisse nicht äußern, fehlt es Ihnen dann nicht auch an Kommunikations- oder an Sozialkompetenz?

Nein, ganz im Gegenteil. Hochbegabte sind sozial sehr kompetent. Sie müssen aber eine enorme Anpassungsleistung erbringen, um von ihrem Umfeld verstanden zu werden. Es stellt sich dann natürlich die Frage, wie hoch die Anpassung jeweils ist. Hochbegabte Schüler sind z. B. bereits in der 1. Jahrgangsklasse gleich weit wie Drittklässler. Sie merken allerdings, dass sie mit Gleichaltrigen nicht reden können wie mit Drittklässlern. Sie versuchen dann, ihre Sprache und ihr Verhalten an die eigene Altersgruppe anzupassen. Manche übertreiben es dann mit dieser Anpassung. Sie machen dann z. B. bei Rechenaufgaben auch absichtlich Fehler, weil das von ihrem sozialen Umfeld so erwartet wird. Durch diese Anpassung wirken sie dann weniger kompetent auf Lehr- und Betreuungspersonen, was dann wiederum zu Fehleinschätzungen über das jeweilige Kind führen kann.  Außerdem ist die Anpassung anstrengend. Es bleiben dann weniger Kapazitäten, um die eigenen Interessen auszuleben. Das kann für hochbegabte Kinder sehr frustrierend sein.

Anpassungsleistung wird von der Gesellschaft oft einfach verlangt

Wieso verspüren Hochbegabte diesen Drang, sich anpassen zu müssen?

Diese Anpassungsleistung wird von der Gesellschaft oft einfach verlangt. Die Kinder müssen sich anpassen, um akzeptiert zu werden. Es ist aber wichtig, dass Kinder auch die Erfahrung machen können, dass es völlig in Ordnung ist, anders zu sein. Wenn hochbegabte Kinder mit anderen hochbegabten Kindern Kontakte knüpfen können, dann lernen sie, dass soziale Akzeptanz nicht immer von ihrer Anpassungsleistung abhängig sein muss. Zu diesem Zweck gibt es Vereine für hochbegabte Kinder, in denen sie sich austauschen können. Das ist dann wie bei den Sportvereinen, die auch den Zweck haben, bestimmte Begabungen der Kinder zu fördern. Innerhalb eines Hochbegabtenvereins können die Kinder sie selbst sein – ohne einem ständigen Anpassungsdruck nachgeben zu müssen.

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